Tipps für rechtliche Betreuer*innen
Alle zwei Monate lesen Sie hier neue Tipps für rechtliche Betreuer*innen zu aktuellen Themen.
Auch das Ende selbst bestimmen
Die wichtige Rolle der Patientenverfügung
Die Patientenverfügung bietet uns eine Möglichkeit, Einfluss auf die Gestaltung und Versorgung am Ende unserer Lebenszeit zu nehmen. Wenn vorher festgelegt wird, was im Falle einer Einwilligungsunfähigkeit passieren soll, können Ärzt*innen, Pflegekräfte und andere in diesem Sinne handeln.
In einer Patientenverfügung werden Wünsche festgelegt, was getan werden soll, wenn man nicht (mehr) einwilligungsfähig („ansprechbar“) ist. Mit welchen Behandlungen und Therapien ist man einverstanden? Was lehnt man grundsätzlich ab?
Für Menschen mit Behinderung und kognitiven Einschränkungen sind die Formulierung und das Verstehen einer Verfügung oft schwierig. Der Verein „Bonn Lighthouse“ hat deshalb unter dem Titel „Zukunftsplanung zum Lebensende: Mein Wille!“ eine Broschüre herausgegeben, die helfen kann.
In verständlicher Sprache werden darin übersichtlich und anschaulich Einstellungen, Erwartungen, Wünsche und Ängste abgefragt, die schriftlich festgehalten werden können. Alles, was für die Lebensqualität am Lebensende als wichtig empfunden wird, kann aufgeschrieben werden. Außerdem werden medizinisch-pflegerische Aspekte mit einfachen Worten beschrieben und die Behandlungsmöglichkeiten erläutert. Zeichnungen und Fotos veranschaulichen das Beschriebene (Schmerz- und Symptombehandlung, Ernährung, Luftnot etc.). Großen Raum erhalten zugleich soziale und spirituelle Aspekte (wer sind wichtige und vertraute Personen, wie soll der Lebensraum gestaltet sein, Unterbringung, Ambiente, spezielle Vorlieben etc.). Außerdem können Wünsche zur Beerdigung und zum Nachlass notiert werden. Ein Glossar erläutert schwierige Begriffe in leichter Sprache.
Die in der Broschüre festgehaltenen Punkte können als Patientenverfügung handlungsweisend sein, wenn die Person zum Zeitpunkt der Erstellung einwilligungsfähig ist – sie sind dann rechtsverbindlich.
Die rechtlich Vertretenden können und sollten diesen erklärten Willen zur Grundlage ihrer Handlungen machen, auch dann, wenn eine formale Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben ist, denn sie sind grundsätzlich an Wunsch und Wille der betroffenen Person gebunden. Je besser sie darüber informiert sind, desto mehr Orientierung haben sie bei möglichen Entscheidungen. Auch Ärzt*innen sind in ihrem Handeln grundsätzlich an diese Verfügung gebunden. Es sei denn, sie haben eindeutige Hinweise darauf, dass der dort dokumentierte Wille nicht (mehr) gültig ist. Gemeinsam mit den rechtlichen Vertreter*innen müssen sie dann abwägen, wie weiter zu verfahren ist. Bei medizinischen Fragen ist die Beratung durch einen vertrauten, behandelnden Arzt, der den/die Patient*in möglichst gut kennt, hilfreich und sinnvoll.
Gerade bei der Stellvertretung ist das Zusammenführen möglichst vieler Aspekte und Einschätzungen besonders wichtig, damit eine gute Entscheidung im Interesse der Person getroffen werden kann – die Broschüre kann dabei eine gute Hilfe sein.
Ihre Stimme zählt!
Selbstbestimmt wählen trotz rechtlicher Betreuung
Politik geht alle an. Deshalb wollen auch viele Menschen
mit einer Behinderung ihre Stimme abgeben, wenn am
26. September 2021 der Deutsche Bundestag gewählt
wird.
Doch wie verhält es sich eigentlich mit dem Wahlrecht
und der rechtlichen Betreuung: Können Menschen, für
die vom Amtsgericht ein*e rechtliche*r Betreuer*in bestellt
wurde, wählen gehen? Die Antwort ist kurz und einfach:
Ja, das können sie!
Das Wahlrecht wird nicht mit der Bestellung einer
Betreuer*in entzogen oder etwa auf diese*n übertragen,
denn das Wahlrecht ist immer an die einzelne Person
gebunden und grundsätzlich nicht übertragbar. Die Entscheidung,
was oder wen eine Person wählen möchte,
muss deshalb immer von der jeweiligen Person selbst
getroffen werden, unabhängig davon, ob eine rechtliche
Betreuung vorliegt oder nicht.
Laut Bundeswahlgesetz ist die Wahlberechtigung abhängig
von Alter (Volljährigkeit), Staatsangehörigkeit und
Wohnsitz, wobei es nach altem Wahlrecht, das heißt bis
30. Juni 2019, noch drei Ausschlussgründe vom Wahlrecht
gab. Einer davon war eine rechtliche Betreuung
mit dem Aufgabenkreis alle Angelegenheiten. Durch die
Reform des Bundeswahlgesetzes im Jahr 2019 wurden
einige Ausschlussgründe aus dem Gesetz herausgenommen,
sodass ein Ausschluss vom Wahlrecht seit dem
1. Juli 2019 nur noch für Personen erfolgen kann, die infolge
eines Richterspruchs kein Wahlrecht besitzen. Eine
rechtliche Betreuung ist demzufolge glücklicherweise kein Ausschlussgrund mehr, auch wenn die Betreuung
für alle Angelegenheiten beschlossen wurde.
Das neue Betreuungsrecht
Was sich durch die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsgesetzes ändert
Jetzt gibt es nach langen Verhandlungen ein Ergebnis, das am 12. Mai 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Es wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsgesetzes ändert die Fundstellen. Ein Betreuungs- Organisationsgesetz kommt hinzu. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) werden die Vorschriften künftig anders geordnet sein. Dabei ist vieles leichter zu finden, zum Beispiel zum Vermögensverzeichnis und zur Berichterstattung zur Vermögensverwaltung. Bisher musste man die Betreuerpflichten mühsam im Vormundschaftsrecht aus Verweisen zusammensuchen. Neben der besseren Übersichtlichkeit finden sich Erleichterungen. So beträgt dann die Ehrenamtspauschale 425€ und wer als Geschwister betreut, ist von der Rechnungslegung befreit.
Als sehr positiv ist zu bewerten, dass im Gesetz den Wünschen der Betroffenen und ihrer Selbstbestimmung größtmögliche Bedeutung zukommt: „Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, dass dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann. Hierzu hat der Betreuer die Wünsche des Betreuten festzustellen.“ Mehr als bisher stellt das Betreuungsrecht auf das Individuum ab, seinen Willen und seine Wünsche. Rechtliche Betreuung soll hierfür – auch bei Menschen mit komplexen Behinderungen – rechtliche Assistenz sein. Handeln zum „Wohl“ einer Person soll es nicht mehr geben, den Begriff gibt es fortan nicht mehr. Dadurch verdeutlicht das Gesetz, dass Betreuer*innen Raum für Empowerment schaffen und Entscheidungen unterstützen sollen.
Das Erforderlichkeitsprinzip gilt schon bisher. Doch ab 2023 werden die Betreuungsgerichte und -behörden genauer überprüfen, ob eine Betreuung (noch) erforderlich ist. Eine Studie im Auftrag des Bundesjustizministeriums hatte ermittelt, dass 10-15 % der Betreuungen vermieden werden könnten, wenn Ärzt*innen, Dienste und Behörden selbst unterstützen statt Betreuungen anzuregen. Mehr rechtliche Selbstsorge soll gefördert werden und auch die Betreuungsbehörden oder -vereine können neu erweiterte Unterstützungen anbieten. Klarstellend gilt, dass eine rechtliche Betreuung die Geschäftsfähigkeit und die Einwilligungsfähigkeit einer Person nicht einschränkt. Eine Betreuung „in allen Angelegenheiten“ wird es nicht mehr geben. Die Gerichte sollen die Aufgabenbereiche nun präzise beschreiben.
Es gibt, insbesondere für Ehrenamtliche, weitere Erleichterungen und neue Beratungsangebote, die für nicht angehörige rechtliche Betreuer*innen sogar verpflichtend sein werden. Auch für die Berufsbetreuung sieht das Gesetz neue Qualitätsanforderungen vor, mit einem geordneten Verfahren zur bundesweiten Registrierung.
Fazit: Der Gesetzgeber hält am Ehrenamt der rechtlichen Betreuung fest und erklärt es für zukunftsfähig. Ehrenamtliche Betreuung ist anspruchsvoll, man benötigt dafür Kraft, Know-how und Fingerspitzengefühl. Dafür muss die Unterstützung stimmen. Wir werden genau prüfen und besprechen, ob die Rahmenbedingungen dafür im Betreuungsgesetz richtig festgelegt wurden.
Einwilligungsfähigkeit bei Corona-Impfung & Co.
Wer bei rechtlich betreuten Menschen bei medizinischen Fragen die Einwilligung übernimmt
Seit Ende Dezember 2020 werden die ersten Schutzimpfungen gegen das Coronavirus in Hamburg verabreicht und alle Bürger*innen Hamburgs werden nun nach und nach dazu aufgerufen, Impftermine wahrzunehmen. Zur Eindämmung des Pandemiegeschehens werden außerdem bereits seit einigen Wochen in vielen Bereichen Schnelltestungen durchgeführt. Auch viele Menschen mit Behinderungen sind in ihrem Alltag immer wieder mit Testungen konfrontiert, zum Beispiel nach Abwesenheitstagen von der Wohngruppe oder bei der Arbeit in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.
Für rechtlich betreute Menschen stellt sich deshalb regelmäßig die Frage, wer für einen Covid-19-Test bzw. für die Corona-Schutzimpfung die Einwilligung geben muss. Oft wird dabei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass rechtlich betreute Personen grundsätzlich nicht selbst in die Testung bzw. Impfung einwilligen können und hierfür daher immer die Einwilligung des/der Betreuer*in notwendig ist. Tatsächlich ist dies jedoch in jedem Einzelfall zu prüfen. Zwei Faktoren sind dabei entscheidend.
Der erste Faktor ist der Aufgabenkreis. Nur mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge (ähnliche Formulierungen denkbar) sind rechtliche Betreuer*innen dazu befugt, eine Einwilligung in medizinische Maßnahmen zu geben. Der zweite wichtige Faktor ist die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Person. Ist eine Person einwilligungsfähig, so entscheidet sie selbst und erteilt die Zustimmung zu einer Untersuchung oder einer Heilbehandlung selbst – unabhängig davon, ob die Person rechtlich betreut wird oder nicht. Ärzt*innen, Betreuer*innen und sonstige Beteiligte sind dann an die Entscheidungen der betroffenen Person gebunden.
Die Einwilligungsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, eine medizinische Untersuchung oder Behandlung in ihrer Bedeutung und Tragweite zu verstehen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. Da medizinische Eingriffe jedoch sehr unterschiedlich sein können, kann auch die Einwilligungsfähigkeit je nach Eingriff und Lebenssituation variieren. So kann ein und dieselbe Person bei unterschiedlichen medizinischen Behandlungen einwilligungsfähig sein oder auch nicht. Dies bedeutet für rechtliche Betreuer*innen mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, dass vor der Einwilligung zu einem Test oder zur Schutzimpfung individuell zu prüfen ist, ob die betreute Person selbst einwilligen kann oder die Einwilligung bzw. Ablehnung durch den/die Betreuer*in erfolgen muss.
Einwilligungsfähige Personen geben ihre Zustimmung oder Ablehnung folglich immer selbst, auch wenn für sie ein*e Betreuer*in bestellt ist. Rechtliche Betreuer*innen können stellvertretend nur für einwilligungsunfähige Personen in Covid-19-Tests oder eine Corona-Schutzimpfung einwilligen, haben dabei aber immer den Wunsch und Willen der betroffenen Person zu berücksichtigen. Bei der Vertretung besteht üblicherweise auch kein eigener Entscheidungsspielraum dahingehend, ob eine Corona-Impfung erforderlich ist. Hier gelten die (individuellen) ärztlichen Empfehlungen.
Bestattungsvorsorge trotz Sozialhilfebezug – geht das?
Was bei einem Todesfall zu beachten ist
Vielen Menschen fällt es nicht leicht, sich mit dem eigenen Ableben auseinanderzusetzen. Und nicht nur die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod ist schwer, auch für die Angehörigen ist der Tod einer geliebten Person eine emotionale Belastung. Die Bestattungspflicht der hinterbliebenen Angehörigen sowie finanzielle Fragen, die mit einem Todesfall einhergehen, können dann schnell zu einer zusätzlichen Belastung werden. Um die Angehörigen zu entlasten oder auch für den Fall, dass es keine nahen Angehörigen gibt, die die Bestattung veranlassen können, kann eine Person für die eigene Bestattung vorsorgen. Sie kann so bereits zu Lebzeiten veranlassen, dass die eigene Bestattung später nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen vorgenommen wird. Hierfür kann mit einem Bestattungsunternehmen ein entsprechender Vertrag abgeschlossen werden, mit dem die Person außerdem dafür Sorge trägt, dass die Bestattung aus den eigenen Mitteln finanziert wird und die Angehörigen so zumindest von der finanziellen Last befreit sind.
Menschen, die von Sozialhilfe leben, sind dabei jedoch an bestimmte Einkommens- und Vermögensgrenzen gebunden. Das heißt, wenn das Einkommen oder Vermögen bestimmte Werte übersteigen, ist es für den eigenen Lebensunterhalt einzusetzen. Bei einer Grundsicherung nach SGB XII liegt die Vermögensfreigrenze aktuell bei 5.000 €, ein Betrag, den eine Bestattung inkl. Grabpflege und Friedhofsgebühren schnell übersteigt. Allerdings bestätigten die Gerichte, zuletzt in Hamburg, dass Menschen mit Sozialhilfebezug zusätzlich zu dem Vermögensfreibetrag von 5.000 € im Rahmen einer sogenannten Härtefallregelung (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) eine angemessene Bestattungsvorsorge vornehmen können. Die Voraussetzung hierfür ist, dass das Geld für die Bestattung aus dem restlichen Vermögen ausgegliedert, eindeutig zweckbestimmt und die Vereinbarung darüber schriftlich festgehalten worden ist. Dies lässt sich zum Beispiel durch einen Vorsorgevertrag mit einem Bestattungsunternehmen gewährleisten.
Bevor ein solcher Vertrag abgeschlossen wird, empfiehlt es sich allerdings, zunächst Rücksprache mit dem Sozialhilfeträger zu halten. So können mögliche Streitigkeiten, beispielsweise in Bezug auf die Höhe der angemessenen Bestattungskosten, die regional sehr unterschiedlich sein kann, vermieden werden.
Für rechtliche Betreuer*innen gilt es außerdem, wie immer in der rechtlichen Betreuung, das Selbstbestimmungsrecht des betreuten Menschen zu beachten. Die in einem Bestattungsvorsorgevertrag festgehaltenen Wünsche und Vorstellungen sind immer sehr persönliche Entscheidungen und können nicht stellvertretend durch den/die Betreuer*in getroffen werden. Rechtliche Betreuer*innen können ihre Aufgabe diesbezüglich nur im Rahmen einer unterstützten Entscheidungsfindung wahrnehmen, sodass die eigenen Wünsche der betroffenen Person in ihren Vorsorgevertrag Einzug finden können.
Was ist Eingliederungshilfe?
In Deutschland haben Menschen mit Behinderung das Recht auf Eingliederungshilfe. Ein anderes Wort für Eingliederungshilfe ist Teilhabeleistung. Teilhabeleistungen sind zum Beispiel Assistenz, Hilfsmittel (zum Beispiel zur unterstützten Kommunikation) und Mobilitätshilfen. Es gibt Eingliederungshilfe nur auf Antrag bei der Behörde. Die Behörde bewilligt die Eingliederungshilfe, wenn
› sie zuständig ist,
› der Mensch die Eingliederungshilfe braucht für seine größtmögliche
Eigenständigkeit oderdie Befähigung dazu,
› es ein Mensch mit Behinderung ist. Das muss eine Ärzt*in bestätigen.
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass der Anspruch auf Eingliederungshilfe ein Sach-Leistungs-Anspruch ist. Das bedeutet, der Mensch bekommt eine Leistung. Zum Beispiel Assistenz. Die Assistenz bekommt das Geld dafür direkt von der Behörde.
Merkzeichen G
Die Merkzeichen gehören zum SchwerbehindertenRecht. Das Merkzeichen G auf dem Schwerbehinderten-Ausweis erhalten Personen mit erheblicher Gehbehinderung, wenn sie
• die Anerkennung ihrer Schwerbehinderung beim Versorgungsamt beantragt haben,
• in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich eingeschränkt sind und/oder
• eine erhebliche
Geh- oder Stehbehinderung haben.
Zu den Berechtigten gehören Menschen mit Körperbehinderungen, aber auch Menschen mit erheblichen Orientierungsschwierigkeiten und/oder einer großen Anfallsneigung, wenn sie dadurch allgemein übliche Wegstrecken im Ortsverkehr nicht ohne Gefahr für sich und andere zu Fuß in angemessener Zeit zurücklegen können.
Ein Beispiel: Sie benötigen für ein Ziel in 2 Kilometer Entfernung mehr als 30 Minuten. Wer Sozialhilfe bezieht, erhält ab der
Anerkennung des Merkzeichens G einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 17 % der Sozialhilfe.
Basisleistungen
Die Umsetzung von Leistungszielen der Teilhabe ist die Aufgabe der Eingliederungshilfe. Das Bundesteilhabegesetz wirkt so: Nicht wer schwer eingeschränkt ist bekommt mehr Leistung, sondern wer Ziele hat. Wer seinen Bedarf anmeldet und dafür Assistenz benötigt, hat Anspruch auf diese Leistungen. Der eine möchte eine andere Arbeit, die andere möchte neue Leute kennenlernen – daraus ergeben sich Ziele und Leistungen für die Assistenz. Wer mit Behinderungen lebt, benötigt aber oft auch Assistenz für wiederkehrende, dauerhaft erforderliche Leistungen. Zum Beispiel Unterstützung beim Zähneputzen oder der Wäschepflege. Bei dieser Grundpflege assistieren in der eigenen Wohnung oft Angehörige oder ein Pflegedienst. Bei der besonderen Wohnform gehört diese Assistenz auch zur Leistung, ohne als Ziel ausdrücklich genannt zu werden; sie ist hier eine Basisleistung.
Was ist Teilhabe?
Teilhabe ist etwas, das Menschen erleben. Es ist auch ein Begriff im Recht. Die Grundrechte garantieren ein Existenzminimum, zu dem nicht nur Geld, sondern auch Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gehört. Das Sozialgesetzbuch IX regelt den Zugang zur Unterstützung dafür in sämtlichen Bereichen des Lebens. Das Ziel ist ein Leben in Selbstbestimmung und Autonomie. Für Leistungen zur individuellen Teilhabe muss ein Antrag gestellt werden; dann findet eine Teilhabeplanung statt. Teilhabeassistenz (Eingliederungshilfe) kann selbst organisiert werden, z. B. mit Mitteln des Persönlichen Budgets, oder von zugelassenen Anbieter*innen geleistet werden. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen hat mit den
Prinzipien Inklusion und Partizipation mit neuen Ansprüchen die politische Teilhabe gestärkt. Die Bundesregierung veröffentlicht alle vier Jahre einen an den Lebenslagen orientierten Teilhabebericht.
Konflikt
Was hat er mit Teilhabe zu tun? Einer sagt, ich will, der andere sagt, das passt hier nicht oder das verstehe ich nicht. Wer eine Behinderung überwinden will merkt oft, wie schwer das ist. Das kann
mit Stress verbunden sein. Jetzt kommt hinzu, dass es nicht ausreicht, eine Einschränkung zu haben oder gut informiert zu sein. Das ist das Teilhaberecht: Willwas, kriegt was. Willnix = passiertnix.
Oft gibt es auch Konflikte, weil es nicht genug Personal gibt. Eine Stelle, die bei Konflikten unterstützt, ist die Ombudsstelle Eingliederungshilfe Hamburg. Recht haben – Recht bekommen – dabei unterstützt die rechtliche Betreuung.
Wo findet man "Kleider machen Leute" in der ICF?
Die ICF ist die Internationale Einstufung von Funktionen, Behinderung und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation. Sie ist die Grundlage im Teilhaberecht für die Bedarfsermittlung. Eine Person hat Ansprüche auf Eingliederungshilfe, wenn sie über ihre körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkungen hinaus Interessen und Ziele in Lebensbereichen der ICF hat und dabei auf Barrieren stößt. Sie hat dann einen Anspruch auf Abbau der Barrieren, wenn nicht anders möglich, durch Assistenz. Das sind die neun ICF Lebensbereiche: Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, Häusliches Leben, Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, Bedeutende Lebensbereiche (Bildung, Arbeit, Wirtschaft), Staatsbürgerliches Leben. Das Ziel #schönundsichtbar findet man in mindestens sieben. Oder?
Was ist Inklusion?
Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch dazugehört. Und mitmachen darf. Egal, wie man aussieht, welche Sprache man spricht oder ob man eine Behinderung hat. Ein Beispiel für Inklusion: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Jeder Mensch soll überall dabei sein können, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit. Inklusion ist ein Menschenrecht. In der BehindertenRechts-Konvention der Vereinten Nationen ist es vorgeschrieben. Das gilt in vielen Ländern, auch in Deutschland. Dazu gehören Menschen und Räume, die stark machen. Und Informationen. Damit niemand sagt: Das geht nicht. Wir bei Leben mit Behinderung Hamburg setzen uns dafür ein, dass viele mitmachen und sagen: Toll, dass das geht!
Kommunikation
Das Wort Kommunikation bedeutet „Mitteilung“. Menschen (mit und ohne Behinderung) teilen sich mit Worten mit oder mit Geräuschen, Blicken, Atmung, Gesten, Mimik, Körperhaltung, Gebärden und/oder Handzeichen. Wir bei Leben mit Behinderung Hamburg finden seit jeher gerade das besonders wichtig, was Menschen mit Behinderung selbst wollen und mitteilen. So steht es im Leitbild: „Dem Streben
nach einem eigenen Lebensweg“, also nach den eigenen Wünschen. Nun steht das auch in den Sozialgesetzen und im Betreuungsrecht: Entscheidend ist, was Menschen mit Behinderung mitteilen und wollen. Doch wer nichts mitteilt und nichts will, erhält möglicherweise zu wenig Unterstützung. Das macht unsere gemeinsame Interessenvertretung und Beratung so wichtig.
Offene und inklusive Kinder- und Jugendarbeit
Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien werden zunehmend inklusiv(er). Sie werden barrierefrei(er) und das stärkt ihre Kenntnisse, um für alle offen zu sein. Denn es ist eine Sache, Inklusion in das Gesetz zu schreiben. Die Umsetzung erfordert
hingegen ein Umdenken und Mitmachen von vielen. Informationen zu Angeboten finden Sie unter www.hamburg-aktiv.info und auf www.jugendserverhamburg.de.
Assistenz in der Freizeit
Eine Person möchte zu einem Ort und dort an einer Veranstaltung teilnehmen. Zum Beispiel zur Disko. Oder die Person möchte in einem Sportverein aktiv sein. Allein kann die Person nicht zu dem Ort kommen, sie braucht Unterstützung auf dem Weg oder vor Ort. Zum Beispiel für das Schieben des Rollstuhls, beim Getränkekaufen oder mit dem Knopf der Hose. Diese Unterstützung kann von einer Assistenz der Eingliederungshilfe geleistet werden. Dafür muss der Bedarf der Person in einer Gesamtplankonferenz festgestellt werden. Dann muss man den Assistenzdienst fragen: Gibt es jemanden, der begleitet? Oft ist das schwierig… Darüber muss man (laut!) sprechen. Gut ist, auch mit den Personen vor Ort und im eigenen Unterstützerkreis zu sprechen. Denn manchmal gibt es dort Menschen, die unterstützen möchten.
Träger der Grundsicherung
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist eine Leistung für Bedürftige zur Existenzsicherung. Man erhält diese Leistung des Sozialgesetzbuchs XII wenn man bedürftig ist und feststeht, dass man dauerhaft erwerbsgemindert ist. Dafür brauchen Nicht-Rentner*innen eine Feststellung durch die zuständige Stelle, zum Beispiel den Träger der Rentenversicherung. Vor der Feststellung kommt für den Antrag auf Sozialhilfe nur das Jobcenter in Betracht. Für die Umsetzung der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII, ist in Hamburg als Kommune die Freie und Hansestadt Hamburg die zuständige Trägerin. Ihre rechtskräftige Leistungsbescheide bleiben wirksam, auch wenn sich die Zuständigkeit von ihren Ämtern ändert. Rechtskräftige Bescheide dürfen nicht ohne Weiteres aufgehoben und müssen vollzogen werden.
Verhinderungspflege
Verhinderungspflege ist das Kurzwort für die häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson. Wenn eine Pflegeperson stundenweise oder ganze Tage und länger frei hat oder krank ist, übernimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege. Wer darf die Ersatz- oder Verhinderungspflege ausüben? Grundsätzlich jede Person über 16 Jahren. Bei der Abrechnung der zugehörigen Kosten kommt es darauf an, wer als Ersatzpflegeperson angegeben wird: Ist es eine mit der zu pflegenden Person nah verwandte Person, also Eltern, Großeltern, (Schwieger-)Kinder oder (Stief-) Geschwister, darf man nur das 1,5-Fache des monatlichen Pflegegeldes als jährliche Kosten geltend machen. Das sind bei Pflegegrad 2 zum Beispiel 474 €. Bei entfernten Verwandten oder anderen Personen kann hingegen die volle im Gesetz genannte Summe geltend gemacht werden. Das sind bei Pflegegrad 2 in der Verhinderungspflege momentan zum Beispiel 1.612 € plus die halbe Kurzzeitpflege. Neu ist 2024 der gemeinsame Jahresbetrag, der spätestens ab 2025 für alle Personen in häuslicher Pflege gilt.
Sexualassistenz
Eine Sexualassistenz ist eine besondere Art der Sex-Arbeit für Menschen mit Behinderung. Wichtig ist: Allein der Mensch mit Behinderung bestimmt, was passiert und was sie oder er möchte. Man erlebt den eigenen Körper mit einer anderen Person sowie Berührung und Wärme. Es kann eine Leistung der sozialen Teilhabe
sein. Es ist umstritten, ob ein Kostenträger dies bezahlen muss. 2022 hat ein Sozialgericht für die Berufsgenossenschaft so entschieden: Sexuelle Bedürfnisse zählen zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen. Es kann individuell für die Lebensqualität, die persönliche Entwicklung und das seelische Befinden, die Teilhabe insgesamt, wichtig sein, den eigenen Körper und Sexualität zu erleben.
Euro-Schlüssel
In ganz Europa gibt es besondere Toiletten für Menschen mit Behinderung, die ein eigenes Schließsystem haben. Man braucht den sogenannten Euro-Schlüssel, um sie zu öffnen. Die Toiletten gibt es in vielen Städten, öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen, Autobahnraststätten, Hochschulen, Freizeitanlagen, Kaufhäusern usw. Sie sind nur einem eingeschränkten Personenkreis zugänglich. So bleibt die Toilette (hoffentlich) lange heil und sauber. Für den Kauf eines Euro-Schlüssels muss man die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Entweder man hat eine Schwerbehinderung mit dem Merkzeichen aG, B, H oder Gl oder man hat mindestens einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 mit dem Merkzeichen G. Man kann den Schlüssel online oder per Post bestellen beim Darmstädter Verein Club Behinderter (CBF) oder im Shop vom Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter: shop.BSK-ev.org.
Schulbegleitung
Als Schulbegleitung bezeichnen die Dienstleister der Assistenz in der Schule ihre Mitarbeitenden, die Schüler*innen in den Unterricht begleiten. Es handelt sich dabei um eine Assistenz, die von der zuständigen Behörde bewilligt wird. Es gibt Schulbegleiter*innen sowohl für die Inklusion in Regelschulen, als auch als Unterstützungspersonen in den speziellen Sonderschulen. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention muss das Schulsystem sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung Zugang zum allgemeinen Bildungssystem haben. Dafür gibt es in Hamburg ein eigenes System der Schulbegleitung. Es soll den Bedarf so decken, dass es keine weitere, selbst organisierte Assistenz braucht. Das klappt nicht immer. Dann besteht weiter der Anspruch auf individuelle soziale Assistenz.